Donnerstag, 11. Januar 2007

Statt der Liebe, Stadt der Liebe

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Eines Abends, es war ein kalter Februarabend in Paris, fand ich mich in der Bar Suffren des Hilton wieder. Gestrandet, nachdem ich mich durch die Stadt hatte treiben lassen, als Treibholz in den Wogen menschlicher Aufgeregtheiten einer Metropole. Die Kälte hatte meine Gedanken erstarren lassen. Festgefroren. Ich stellte den Kragen meines Trenchcoat auf und ließ mich in einen der samtroten Sessel sinken. Der Barkeeper, ein sehniger Mann mit schütterem schwarzem Haar und hängenden Mundwinkeln, sah mich abschätzig an. In betont schlampigen Englisch empfahl er mir einen Sex on the Beach, was in meinen Ohren eher nach Saxon’ dhe Bitch klang. „Martini. Geschüttelt.“ entgegnete ich ungerührt. „Und eine Cohiba Lanceros.“

Der Winter malte Eiskristalle an die beschlagenen Fenster, hinter denen die Stadt verschwamm. Ich schnitt die Zigarre zurecht, zog eine orangefarbene Streichholzschachtel, wie ich sie immer bei mir trage, aus der Tasche und steckte die kubanische Kostbarkeit an. Nichts als Asche würde bleiben. Von ihr nicht, von mir nicht. Asche zu Asche. Die Wärme kehrte in meinen Körper zurück. Hinter dem Rauchvorhang entspannte ich mich und begann, den Blick schweifen zu lassen. An der Bar versuchte ein dicklicher Amerikaner, mit gelockerter Krawatte und sichtlich angetrunken, den Barkeeper in ein Gespräch zu verwickeln. Sehr zu dessen Missfallen, doch er ergab sich in sein Schicksal. Ansonsten gähnten mich leere Samtsessel an.

In einer in warmes Licht getauchten Ecke saß ein Mann am Piano und spielte verträumte Melodien. Wie man sie eben spielt, um in einsamen Männern Heimweh zu entfachen. Aus dem Schatten trat eine zierliche Frau neben ihn, strich ihm über die Schulter und griff zum Mikrofon. Sie war eine Erscheinung, nicht eben groß, aber elegant in jeder Bewegung, die ihr schwarzes Abendkleid zuließ. Geheimnisvolle, dunkle Augen fixierten mich. Sie begann zu singen. Fly me to the moon… Der Mond. And let me play among the stars… Ich ließ die Gedanken fliegen.

Paris. Die Stadt der Liebe. Das ich nicht lache. Warum verknüpfen Menschen das höchste aller Gefühle mit einer Stadt? Mit einer Stadt, die sich eher rau und ungehobelt gibt? Und doch, wer sich als Pariser ausgibt, dem schlägt Verzückung entgegen. Paris. Ich vermeide es, über meine Herkunft zu sprechen. Ich frage lieber. Das ist mein Job. Fragen und beobachten. Analysieren. War nicht erst heute, auf der Vernissage dieses schnöseligen Surrealisten, der Kollege aus Österreich seiner Herkunft zum Opfer gefallen? Oder doch der Macht der rhetorischen Pause, des Kommas der Wortsprache? „Andreas Blatschnigg, I’m from Fucking, Austria.“ Wollte er sagen. Das Komma. Die Pause. Fucking Austria. Gelächter, Spott und dumme Sprüche. Paris, France? Oooh, I love Paris. Nein, Fucking. Fucking im Bezirk Braunau am Inn. Doppelt gestraft. Der Geburtsort des Postkartenmalers. Fucking Hitler.

Fortsetzung