Montag, 1. Dezember 2008

Tommys Triumvirat

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Sumpfig drängte sich mein Bewusstsein zurück an die Oberfläche und für einen kurzen Moment, bevor ich das durch den schützenden Vorhang meiner Augenlider dringende Sonnenlicht als solches wahrnahm, schwebte ich zwischen den Welten. Farben explodierten in meinem Kopf, ich blickte in ein göttliches Kaleidoskop, wurde hineingezogen, fühlte mich schwerelos, berauscht, ja, glücklich. Das Glück verglühte in der Sekunde, in der ich die Augen aufschlug und mich ein greller, stechender Schmerz durchflutete.

Kraftlos schleppte ich mich unter die Dusche, deren Kälte meinem drahtigen Körper etwas Spannkraft wiedergab. Nachdem mich die tropische Wärme getrocknet hatte, schlüpfte ich in eine dünne Leinenhose. Auf ein Hemd verzichtete ich. Ein letzter Blick in den Spiegel, die Schulterbätter zusammengezogen, aufrecht. Kampfbereit wie eine Kobra. Ich nickte meinem Spiegelbild zufrieden zu, dann ging ich festen Schrittes auf die Terrasse, wo mich Ed und Pepe mit dem Frühstück erwarten würden. Ich fühlte mich wie ein General, der ohne einen Plan vor seinen Stab tritt. Wir grüßten einander und aßen zunächst schweigend. Ich lauschte dem prallen, aber unsichtbaren Leben im Garten. Ein Schnattern, Fiepen und Zirpen, das uns gleich einer ewigen sommerlichen Synphonie umgab. „Wenn ich die Augen schließe ist alles wie früher – die Luft, die Geräusche, das Aroma. Einfach alles“, seufzte ich. So viel Leben ließ sich nicht länger totschweigen.

„Ja, die Welt kann immer noch gut sein, wenn man die Menschheit vergisst“, pflichtete Pepe bei. „Aber das kann ich nicht. Ich lag die halbe Nacht wach und habe darüber nachgedacht, wo wir Isabel finden“, schob er hinterher. Nun war es also ausgesprochen, die morgendliche Leichtigkeit verflog. „Ja, verdammt!“, röhrte Ed, „diese verdammte Stadt ist einfach zu groß. Nach außen alles Zuckerhut, Copacabana und Carneval – aber im Grunde ein Moloch, ein Krebsgeschwür.“

„Trotzdem. Wir werden Arlobo finden“, setzte ich an. „Er ist viel zu eitel um sich dauerhaft zu verstecken.“ „Du bist gut“, konterte Pepe. „Mann, ER sucht UNS! Wir haben etwas, das er braucht. Na ja, den Schlüssel dazu. Und so lange das so ist, ist Isabel sicher. Was auch immer Tommy dem guten Arlobo da stiebitzt hat, wir müssen es vor ihm finden. Das sind wir Tommy schuldig. Und Isabel.“

"Desahlb müssen wir Arlobo finden, bevor er uns findet. Dann wird er uns auf die richtige Spur bringen", sagte ich entschieden. Da saßen wir. Tommys Triumvirat auf dem Weg in die Schlacht. Ohne das Schlachtfeld zu kennen, ratlos. Einem inneren Impuls folgend – oder auch nur, um irgend etwas zu tun – schaltete Ed sein kleines Transistorradio an. Radio Globo schepperte aus den Boxen. Wildes Gejingle, dann ein Gong, Nachrichten. „Radio Globo apresenta...“ Wir gaben uns dem Weltgeschehen hin. Krieg im Irak, Völkermord in Darfur, ein ganz normaler Tag. Dann die regionale Topmeldung: „...heute wird im Museu Chácara do Céu die lang erwartete Picasso-Ausstellung eröffnet. Zum Festakt um 13 Uhr wird Präsident Lula da Silva und reichlich weitere Prominenz aus Politik und Gesellschaft erwartet...“

„Mensch, lasst uns da hingehen!“ rief Ed. „Mann, wir haben heute wirklich wichtigere Dinge in Angriff zu nehmen“, zischte Pepe leicht angesäuert. „Ach ja, was denn?“, erwiderte Ed. „Wo willst du Arlobo denn finden? Prominenz hat ihn schon immer angezogen wie ein Scheißhaufen die Fliegen.“ „Ed hat recht“, hörte ich mich sagen.

Vier Stunden später drängten wir uns durch die Menge der Schaulustigen und lauschten der Rede des Präsidenten, der, eingerahmt von einer Riege Honoratoren, vor dem Portal des Museums stand. Wir waren zu weit entfernt um etwas zu erkennen, doch auf einer Leinwand konnten wir das Geschehen im Fernsehen verfolgen. Soeben hatte Lula seine Rede beendet und die Kamera schwenkte über die beflissen klatschenden Statisten auf den Stufen, die sich im Glanz des Präsidenten sonnten. Einer strahlte ganz besonders: Arlobo.

Dienstag, 25. November 2008

Schlafes Bruder

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Müde, zerschunden und verwirrt nahm ich das Angebot von Ed und Pepe gerne an, in ihrem Gästezimmer zu übernachten. Doch obwohl mich die Intensität dieses Tages in die Matratze hätte drücken müssen, starrte ich auf die weißgekalkte Zimmerdecke und fand lange keinen Schlaf. Das Video war Tommys Trumpf gewesen, aber zugleich seine Eintrittskarte ins Reich des Todes.

Ja, Tommy hatte Zeit seines Lebens mit dem Feuer gespielt. Dafür hatte ich ihn bewundert. Wo ich zurückschreckte, ging Tommy voran. Wo mir die Worte fehlten, ließ er seine rauchige Stimme Dinge sagen, die ich niemals hätte aussprechen können. Tommy war ein Spieler. Ein Spieler, der sich lange aufs Gewinnen verstanden hatte. Doch mit Arese schlich sich die Möglichkeit des Verlierens in sein Leben. Sie war das Wasserglas, das Tommys Regenfass voller Mut zum Überlaufen brachte. Aus Mut wurde Übermut. Sie liebten sich. Und vielleicht waren sie beide auch ein wenig in die bittersüße Versuchung des Todes verliebt.

Das Video war am 13.06.92 aufgenommen worden. Arlobo war an diesem Tag also bereits misstrauisch gegenüber Tommy und vor allem gegenüber Arese. Und zwischen Misstrauen und Mord lag bei Arlobo meist nicht viel Zeit. Ob Menschenleben für ihn wohl schon immer so wenig wert gewesen waren? Eine Woche nach der Videoaufnahme waren die Körper von Tommy und Arese bereits kalt. Kalt. Bei dem Gedanken an den Anblick der leblosen, aufgedunsenen Körper überzog mich ein kalter Schauer. Ruckartig zog ich die cremefarbene Wolldecke dicht unter meine rissigen Lippen.

Was hatte Tommy damals nur aus Arlobos Schreibtischschublade genommen? Warum hatte der lange Arlobo das Video, das Tommys Diebstahl dokumentierte, nicht vernichten können? Und warum wob das Schicksal all diese Spinnweben der Vergangenheit 15 Jahre später wieder zu einem immer dichteren Netz zusammen? Diese Fragen konnte nur der pendelnde Schlächter im Leinenanzug selbst beantworten. Oder Isabel. Sie war kurz vor dem Tod von Tommy und Arese mit Ihnen zusammen gewesen, während ich 500 Kilometer entfernt erst gegen eine Malaria-Attacke und dann gegen Pière Coqétait kämpfte. Isabel war der Schlüssel.

Unruhig wälzte ich mich in meinem breiten Bett hin und her und fasste einen Entschluss: Ich musste Isabel finden und aus den paddelartigen Händen Arlobos befreien. Anfang der 90er wäre ich schon für sie gestorben. Warum also nicht heute? Vielleicht stand ich dem Tod auch schon lange näher als dem Leben. Mein Herz wurde jedenfalls schon damals gepfählt und ein Großteil meines Verstandes blieb für immer im Dschungel zurück. Ich hatte also außer meiner äußeren Hülle, die man Körper nennt, nicht mehr viel zu verlieren. Mit diesen Gedanken legte sich ein bleierner Schlaf über meine zerschlagene Hülle. Schon morgen könnte es sein Bruder sein. Schlafes Bruder. Der Tod.


Fortsetzung