Dienstag, 25. November 2008

Schlafes Bruder

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Müde, zerschunden und verwirrt nahm ich das Angebot von Ed und Pepe gerne an, in ihrem Gästezimmer zu übernachten. Doch obwohl mich die Intensität dieses Tages in die Matratze hätte drücken müssen, starrte ich auf die weißgekalkte Zimmerdecke und fand lange keinen Schlaf. Das Video war Tommys Trumpf gewesen, aber zugleich seine Eintrittskarte ins Reich des Todes.

Ja, Tommy hatte Zeit seines Lebens mit dem Feuer gespielt. Dafür hatte ich ihn bewundert. Wo ich zurückschreckte, ging Tommy voran. Wo mir die Worte fehlten, ließ er seine rauchige Stimme Dinge sagen, die ich niemals hätte aussprechen können. Tommy war ein Spieler. Ein Spieler, der sich lange aufs Gewinnen verstanden hatte. Doch mit Arese schlich sich die Möglichkeit des Verlierens in sein Leben. Sie war das Wasserglas, das Tommys Regenfass voller Mut zum Überlaufen brachte. Aus Mut wurde Übermut. Sie liebten sich. Und vielleicht waren sie beide auch ein wenig in die bittersüße Versuchung des Todes verliebt.

Das Video war am 13.06.92 aufgenommen worden. Arlobo war an diesem Tag also bereits misstrauisch gegenüber Tommy und vor allem gegenüber Arese. Und zwischen Misstrauen und Mord lag bei Arlobo meist nicht viel Zeit. Ob Menschenleben für ihn wohl schon immer so wenig wert gewesen waren? Eine Woche nach der Videoaufnahme waren die Körper von Tommy und Arese bereits kalt. Kalt. Bei dem Gedanken an den Anblick der leblosen, aufgedunsenen Körper überzog mich ein kalter Schauer. Ruckartig zog ich die cremefarbene Wolldecke dicht unter meine rissigen Lippen.

Was hatte Tommy damals nur aus Arlobos Schreibtischschublade genommen? Warum hatte der lange Arlobo das Video, das Tommys Diebstahl dokumentierte, nicht vernichten können? Und warum wob das Schicksal all diese Spinnweben der Vergangenheit 15 Jahre später wieder zu einem immer dichteren Netz zusammen? Diese Fragen konnte nur der pendelnde Schlächter im Leinenanzug selbst beantworten. Oder Isabel. Sie war kurz vor dem Tod von Tommy und Arese mit Ihnen zusammen gewesen, während ich 500 Kilometer entfernt erst gegen eine Malaria-Attacke und dann gegen Pière Coqétait kämpfte. Isabel war der Schlüssel.

Unruhig wälzte ich mich in meinem breiten Bett hin und her und fasste einen Entschluss: Ich musste Isabel finden und aus den paddelartigen Händen Arlobos befreien. Anfang der 90er wäre ich schon für sie gestorben. Warum also nicht heute? Vielleicht stand ich dem Tod auch schon lange näher als dem Leben. Mein Herz wurde jedenfalls schon damals gepfählt und ein Großteil meines Verstandes blieb für immer im Dschungel zurück. Ich hatte also außer meiner äußeren Hülle, die man Körper nennt, nicht mehr viel zu verlieren. Mit diesen Gedanken legte sich ein bleierner Schlaf über meine zerschlagene Hülle. Schon morgen könnte es sein Bruder sein. Schlafes Bruder. Der Tod.


Fortsetzung

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