Sumpfig drängte sich mein Bewusstsein zurück an die Oberfläche und für einen kurzen Moment, bevor ich das durch den schützenden Vorhang meiner Augenlider dringende Sonnenlicht als solches wahrnahm, schwebte ich zwischen den Welten. Farben explodierten in meinem Kopf, ich blickte in ein göttliches Kaleidoskop, wurde hineingezogen, fühlte mich schwerelos, berauscht, ja, glücklich. Das Glück verglühte in der Sekunde, in der ich die Augen aufschlug und mich ein greller, stechender Schmerz durchflutete.
Kraftlos schleppte ich mich unter die Dusche, deren Kälte meinem drahtigen Körper etwas Spannkraft wiedergab. Nachdem mich die tropische Wärme getrocknet hatte, schlüpfte ich in eine dünne Leinenhose. Auf ein Hemd verzichtete ich. Ein letzter Blick in den Spiegel, die Schulterbätter zusammengezogen, aufrecht. Kampfbereit wie eine Kobra. Ich nickte meinem Spiegelbild zufrieden zu, dann ging ich festen Schrittes auf die Terrasse, wo mich Ed und Pepe mit dem Frühstück erwarten würden. Ich fühlte mich wie ein General, der ohne einen Plan vor seinen Stab tritt. Wir grüßten einander und aßen zunächst schweigend. Ich lauschte dem prallen, aber unsichtbaren Leben im Garten. Ein Schnattern, Fiepen und Zirpen, das uns gleich einer ewigen sommerlichen Synphonie umgab. „Wenn ich die Augen schließe ist alles wie früher – die Luft, die Geräusche, das Aroma. Einfach alles“, seufzte ich. So viel Leben ließ sich nicht länger totschweigen.
„Ja, die Welt kann immer noch gut sein, wenn man die Menschheit vergisst“, pflichtete Pepe bei. „Aber das kann ich nicht. Ich lag die halbe Nacht wach und habe darüber nachgedacht, wo wir Isabel finden“, schob er hinterher. Nun war es also ausgesprochen, die morgendliche Leichtigkeit verflog. „Ja, verdammt!“, röhrte Ed, „diese verdammte Stadt ist einfach zu groß. Nach außen alles Zuckerhut, Copacabana und Carneval – aber im Grunde ein Moloch, ein Krebsgeschwür.“
„Trotzdem. Wir werden Arlobo finden“, setzte ich an. „Er ist viel zu eitel um sich dauerhaft zu verstecken.“ „Du bist gut“, konterte Pepe. „Mann, ER sucht UNS! Wir haben etwas, das er braucht. Na ja, den Schlüssel dazu. Und so lange das so ist, ist Isabel sicher. Was auch immer Tommy dem guten Arlobo da stiebitzt hat, wir müssen es vor ihm finden. Das sind wir Tommy schuldig. Und Isabel.“
"Desahlb müssen wir Arlobo finden, bevor er uns findet. Dann wird er uns auf die richtige Spur bringen", sagte ich entschieden. Da saßen wir. Tommys Triumvirat auf dem Weg in die Schlacht. Ohne das Schlachtfeld zu kennen, ratlos. Einem inneren Impuls folgend – oder auch nur, um irgend etwas zu tun – schaltete Ed sein kleines Transistorradio an. Radio Globo schepperte aus den Boxen. Wildes Gejingle, dann ein Gong, Nachrichten. „Radio Globo apresenta...“ Wir gaben uns dem Weltgeschehen hin. Krieg im Irak, Völkermord in Darfur, ein ganz normaler Tag. Dann die regionale Topmeldung: „...heute wird im Museu Chácara do Céu die lang erwartete Picasso-Ausstellung eröffnet. Zum Festakt um 13 Uhr wird Präsident Lula da Silva und reichlich weitere Prominenz aus Politik und Gesellschaft erwartet...“
„Mensch, lasst uns da hingehen!“ rief Ed. „Mann, wir haben heute wirklich wichtigere Dinge in Angriff zu nehmen“, zischte Pepe leicht angesäuert. „Ach ja, was denn?“, erwiderte Ed. „Wo willst du Arlobo denn finden? Prominenz hat ihn schon immer angezogen wie ein Scheißhaufen die Fliegen.“ „Ed hat recht“, hörte ich mich sagen.
Vier Stunden später drängten wir uns durch die Menge der Schaulustigen und lauschten der Rede des Präsidenten, der, eingerahmt von einer Riege Honoratoren, vor dem Portal des Museums stand. Wir waren zu weit entfernt um etwas zu erkennen, doch auf einer Leinwand konnten wir das Geschehen im Fernsehen verfolgen. Soeben hatte Lula seine Rede beendet und die Kamera schwenkte über die beflissen klatschenden Statisten auf den Stufen, die sich im Glanz des Präsidenten sonnten. Einer strahlte ganz besonders: Arlobo.
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